Stories

Mittwoch, 2. November 2005

Die Wohnung gegenüber

Schräg gegenüber, auf der anderen Seite der Hauptstrasse, wohnt ein etwas älteres Junggeselle. ich schätze ihn auf ende 30 anfang 40.

Von meinem Schlafzimmerfenster aus habe ich direkten Blick in seine kleine Wohnung. 2 Zimmer, Küche, Bad, nur leider keine Gardienen. Gestrichen werden müsste bei ihm mal wieder und neue Möbel sind auch schon länger überfällig. Das einzigste Möbelstück was ich im Wohnzimmer sehen kann ist der kleine Fernseher der vor einer kahlen, weissen Wand steht. Zur Zeit schaut er gerde RTL und den "Einsatz in 4 Wänden". Eine Fernsehzeitung hat er offensichtlich auch nicht.

Dafür hat er Bier. Zumindest seh ich einige leere Flaschen im Schlafzimmer auf dem Boden stehen. Neben dem gammligen Bett. Als Frau würd ich mich nichtmal in die Nähe dessen begeben. Zu groß wär die Angst vor Ungeziefer und Geschlechtskrankheiten, nur schon beim hinsehen.
Oder nen Stromschlag. Neben der Schlafzimmertür wollte er letzte woche den Lichtschater reparieren ( letzlich wars wohl nur die Glühbirne die durchgebrannt war) und hat ihn abmontiert. jetzt hängt er. gehalten von ein paar Stromkabeln, die wand herunter um baumelt einsam vor sich hin.

Vor einem der Wohnzimmerfenster steht ne einsame Kerze, direkt daneben liegen Bücher, einige Gläser, wohl dreckig, kann ich auch sehen.

Ihn sehe ih gerade nicht, aber da der Fernseher läuft wird er wohl in seinem Sessel davor sitzen und sich beschallen lassen.

Sonntag, 16. Oktober 2005

Julian - 1

Julian

Die Glocken läuteten. Es war 11 Uhr am Sonntag, die Messe war vorbei. In dem Café neben der Kirche fand sich die Gemeinde ein um noch einen Kaffee gemeinsam zu trinken. Es war laut im „Café zur Kirche“, denn es war, wie jeden Sonntag, voll und man unterhielt sich angeregt über den Gottesdienst, die Geschehnisse der letzten Woche und vor allem auch über den Dorfklatsch.
Hier herrschte noch die perfekte Idylle, keine Straftaten, die das Ansehen der Stadt verschlechterten und wenn es doch welche gab wurden sie totgeschwiegen. Hier kennt jeder jeden, man ist zusammen aufgewachsen und zur Schule gegangen und später hat man sich in den gleichen Vereinen der Stadt engagiert. So ist es nicht verwunderlich das der Klatsch und Tratsch des Dorfes hier nach der Messe, wo alle zusammentreffen, ein großes Thema darstellt. Was, wo, wann, wieso und wer mit wem ?

Als Julian mit seiner Familie das Café betrat und freundlich in die Runde gegrüßt wurde verstummten alle plötzlich für einen Moment.
Julian war groß und sportlich, er sah verdammt gut aus und hatte die Gabe, jeden mit seinen eisblauen Augen in den Bann ziehen zu können. Aber das war nicht der Grund, der die Aufmerksamkeit auf sich zog. Es war vielmehr die Sensationslust der Gemeinde, denn wo nichts passiert muss man sich Stoff zu reden schaffen. Über Julian wurde oft und viel geredet.
Julian war das schwarze Schaf der Gemeinde. Einer der sich nicht damit abfinden wollte in dieser kleinen Welt in der Welt sein Leben lang eingeschlossen zu sein und sein Leben vorgeschrieben zu bekommen. Er träumte von Freiheit und rebellierte mit seinem Aussehen und seiner Meinung gegen diese Zwänge. Julian fiel auf, mit seinen giftgrünen Haaren und den Piercings war das auch nicht schwer. Überall wo er hinkam starrten ihn andere an. Er sagte dann oft „ Ihr seid nur neidisch und traut euch nicht euer Ding durchzuziehen. Ich leb mein Leben !“

Peinlich berührt von der plötzlich auftretenden Stille setzte sich seine Familie schnell zu den Nachbarn an den Tisch. „Wie der wieder aussieht“, hörte Julian seine Nachbarin Frau Saml, eine dicke Frau Anfang 50, sagen.
Im stillem wünschte er sich den Tag herbei, an dem er Andersberg verlassen konnte. Nicht nur für ein paar Stunden oder Tage, sondern für immer. Im nächsten Sommer, wenn er sein Abitur gemacht hat, wollte er nach Berlin. New York war zu weit weg, außerhalb seiner Grenzen, aber Berlin war fast greifbar nah und es war eine Alternative, wenn nicht sogar DIE Alternative überhaupt.

„Hey Looser!“, wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Hinter ihm stand Micha und klopfte ihm auf die Schulter. Micha, eigentlich Michael, war sein bester Freund und fast genau das Gegenteil von Julian. Auf Micha flogen die Mädchen, nicht weil er besser aussah, das bestimmt nicht, sondern weil er angesehen war. Diesen Sommer hatte Micha sein Abi mit Glanznote bestanden, seine Eltern waren erfolgreiche Anwälte. Micha stand mit beiden Beinen fest im Leben, er wusste das er Jura studieren wird um in die Fußstapfen seiner Eltern zu treten und er war eingebildet. Schlecht sah er zwar nicht aus mit seinen schwarzen Haaren, den dunklen Dackelaugen und dem schlanken, aber relativ kleinen Körper, aber gegen Julian verblasste er. Trotzdem flogen Micha die Frauenherzen zu, einfach, weil er von den Eltern geliebt wurde und „Everybodies Darling“ zu sein schien. Juli, wie Julian genannt wurde, wurde von den Eltern gehasst, sie hatten Angst, er könne schlechten Einfluss auf ihre Töchter und Söhne haben.

Sonntags war Familientag.

Familie Michels blieb nicht lange, sie gingen bald nach Hause, denn die Blicke, die ihr Sohn auf sich und damit auf die Familie zog, waren ihnen unangenehm.
„Zu Hause“ hieß in Andersberg ein Einfamilienhaus in einer ruhigen Seitenstrasse von einer der 4 Hauptstrassen, die von dem zentralen Platz abgingen auf der die Kirche stand. Jedes dieser Häuser hatten einen kleinen, bunt bepflanzten Vorgarten und hinterm Haus war immer ein großer Garten mit Hecken und Blumen und einen idyllischen weißen Gartenzaun drum herum.
An diesem Tag war es herrlich warm draußen und so servierte Frau Michels das Essen für ihre Familie auf der Terrasse hinterm Haus. Sonntags blieb immer die ganze Familie zusammen, es wurde zusammen gefrühstückt und anschließend gemeinsam der Gottesdienst besucht, danach zum üblichen Treffen im Café gegangen und schließlich zu Hause gemeinsam gegessen und der Tag verbracht. An diesem besonderen Tag der Woche war die Familie heilig, wie woanders nur an seltenen Feiertagen im Jahr.

Am Abend saß Juli allein in seinem Zimmer und hörte Musik. Soul. Er liebte Soul und black music. Sein Blick glitt über das Kreuz an der Wand hinüber zu den Postern. Sie alle zeigten die Skyline von New York, nur aus verschiedenen Perspektiven. Juli schaute aus dem Fenster. Draußen war es mittlerweile dunkel geworden und es regnete. Er hörte wie die Regentropfen auf die Fenster seines Zimmers prasselten und er hörte den Wind um die Häuser pfeifen. In Juli kam das Gefühl auf, die Welt würde untergehen, wahrscheinlich aber nicht die ganze Welt, sondern nur Andersberg und mit Andersberg würde auch er untergehen und er wäre auf ewig in dieser perfekten Idylle gefangen.
Juli setzte sich wieder auf sein Bett, von unten hörte er seine sechsjährige Schwester Johanna lachen. Juli drehte die Musik lauter und fing an zu träumen.
Wie sooft träumte er von New York und von Berlin. Wie würde es wohl sein wenn er endlich da sein würde? Endlich würde nicht mehr jeder seiner Schritte und Handlungen überwacht und kommentiert werden, er könne einfach aufstehen und hingehen wohin und mit wem er wollte, in die Disco, die es hier ja nicht gab, ans Wasser, auch wenn’s nur ein See war, oder zu Freunden, die er hier ja kaum hatte. Es würde kaum jemanden interessieren.

Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Träumen. Juli drehte die Musik leiser als sein Vater das Zimmer betrat.
„Mach bitte die Musik leiser, Johanna muss ins Bett. Am besten nutzt du jetzt mal die Gelegenheit und lernst für deine Klausuren.“ Julian antwortete tonlos, nur zu gut kannte er die Diskussionen um gute Noten mit seinen Eltern. Dabei gab Juli sich wirklich Mühe gute Noten nach Hause zu bringen, aber es fiel ihm sichtlich schwer den Stoff zu verstehen. „Und noch was, nimm wenigsten in der Kirche deine Ringe aus dem Gesicht, du weißt genau wie die Nachbarn reden. Was sollen sie von uns halten ? Du machst uns mit deinem Verhalten manchmal wirklich zum Gespött der Stadt.“ Ohne auf Antwort zu warten schloss er die Tür hinter sich und ließ Juli allein, wie sooft.
„Was interessieren mich die Meinungen dieser Lästermäuler“ knurrte Juli und sein Blick fiel abermals auf das Kreuz, das gut sichtbar an der Wand hing, „Und die Kirche interessiert mich auch einen Dreck!“

Julian war in der letzten Klasse, dieses Jahr würde er sein Abitur machen. In der 1. Stunde hatte er an diesem Montag Leistungskurs. Mit ihm im Kurs war einer seiner wenigen Lichtblicke in diesem Nest: Anna. Anna war ebenfalls 19 und hatte lange blonde harre und viele Sommersprossen. Juli war ihr auf den ersten Blick sympathisch und umgekehrt war es genauso. Seitdem Micha nicht mehr auf der Schule war, verbrachte er jede Pause mit Anna und lernte mit ihr den Stoff für die Klausuren, denn auch ihr flog alles wie aus Geisterhand einfach zu, sie konnte einfach alles. Zumindest hatte Juli oft den Eindruck.
Bei allen anderen Schülern war Juli nicht sehr beliebt. Er war halt anders, der Aussenseiter, der „Spinner“. Zumindest dachten sie so, ob es stimmte interessierte sie nicht, sie wussten, früher war er mal „normal“ aber seid einigen Jahren spinnt er nur noch...
Er sah halt anders aus wie „normale“ Menschen.


-2-

Das helle Leuten der Schulglocke erlöste Juli. So schnell er konnte, schnappte er seine Sachen und verließ die Schule.
Das Burggymnasium war schon ziemlich alt und sah von außen aus wie ein Gefängnis und so fühlte sich Juli dort auch, genauso eingeschlossen wie er sich in Andersberg überhaupt fühlte. Nur wenige hundert Meter von der Schule entfernt befand sich eine kleine Kneipe. Juli begab sich, wie jeden Tag, direkt dorthin, denn hier war er nach Schulschluss immer mit Anna verabredet.
Als er die „Dorfschenke“ betrat war Anna noch nicht da. Die wenigen, ausschließlich männlichen Gäste wendeten sich von Juli ab und, als ob er gar nicht da sei, ignorierte man seinen Gruß. [i]“Tut ruhig so als gäbe es mich nicht, ich weiß ich bin euch ein Dorn im Auge, aber loswerden tut ihr mich hier nicht so einfach, seht her ich bin da“[/i], dachte sich Juli im stillem und setzte sich an den Tisch direkt in der Mitte des Raumes, dort, wo ihn einfach jeder sehen musste. „Ein Bier bitte!“ Juli trank selten Alkohol, aber heute musste er den Schulstress mit einem Bier runterspülen, heute war ihm einfach danach einfach nur zu vergessen.

Nur wenige Augenblicke später betrat Anna die Kneipe. Juli schien es, als würde ein Engel den Raum betreten, als sie die Tür öffnete. Anna stürmte mit wehenden, blonden Haaren in das Lokal, ihre Augen strahlten, sie lachte übers ganze Gesicht und in ihrem weißem Sommerkleid war Anna atemberaubend schön. Ein großes „Hallo“ ging durch die kleine Gaststätte, gefolgt von stummen Kopfschütteln, als sie Juli stürmisch und lachend um den Hals fiel. „Hey Sonnenschein, was gibt’s neues?“ lachte sie ihm entgegen. „Nichts!“ Anna kannte Julis permanente schlechte Laune nach der Schule und ignorierte sie einfach. „Stell dir vor, wir haben eben Englisch wiederbekommen und ich habe eine glatte eins geschrieben, ist das nicht phantastisch?“ Anna konnte ihre Freude kaum verbergen, sie strahlte übers ganze Gesicht. „Stell dir vor, wir haben heute Mathe zurückbekommen und ich habe eine glatte 5 bekommen, ist das nicht wieder phantastisch? Meine Eltern werden mich umbringen“ konterte Juli traurig und verbittert.
Anna setzte sich zu Julian und sah ihn an. Seine eisblauen Augen sahen traurig und hilflos auf das Bier vor ihm auf dem Tisch. Anna kannte diesen Blick, doch jedes Mal liefen ihr kalte Schauer über den Rücken. Sie vermisste den Juli, den sie vor fast drei Jahren kennen gelernt hatte, den Juli dessen Augen immer gelacht haben und der immer ein freches Grinsen auf den Lippen hatte, den Juli, der immer gegen alles rebelliert hatte ohne dabei bösartig zu werden. Anna hatte den Eindruck, als sei dieser Juli tot. Der, der nun vor ihr saß war ein anderer. Der Junge der nun vor ihr saß konnte nicht mehr lachen, er war stets traurig und deprimiert, gerade jetzt, in diesem Moment erweckte er den Eindruck, er würde jeden Moment anfangen zu weinen.

„Mensch Juli,“ sagte Anna behutsam und legte ihre Hand vorsichtig auf seine, “wir haben doch zwei Tage lang gelernt, du konntest den Stoff doch. Was war denn los, wo war den das Problem auf einmal?“ „ Ich weiß doch auch nicht,“ Julis Stimme war niedergeschlagen, „Ich komm in die Klasse, mit dem Wissen [i]Ich kann es packen[/i], habe ein richtig gutes Gefühl, doch als Herr Borgen den Aufgaben verteilt schaut er mich an und sagt mir, ich würde es doch wieder nicht schaffen.“ Verzweifelt schaut Juli zu Anna, deren Augen ihn fragend anschauen. „Ich saß da, in der Arbeit und hörte die ganze Zeit seine Worte und hatte dann selbst das Gefühl zu versagen und plötzlich wusste ich nichts mehr. Es war einfach alles weg. Ich bin ein Versager!“

„Das ist nicht war! Wir lernen weiter, bis du es verstehst und bis wir deinem Lehrer bewiesen haben das du kein Versager bist, wie er glaubt. Hast du heute Abend Zeit, dann können wir sofort beginnen?“
„Danke, das ist lieb von dir, aber gerade heute geht es nicht. Ich bin mit Micha verabredet, ich muss endlich was mit ihm klären.“ „OK, aber morgen hast du Zeit?“ „Klar“
Anna begann wieder zu lachen, sie war felsenfest davon überzeugt, das es ein Klacks sein würde Juli die Mathematik bei zu bringen. Er war nicht dumm, das wusste sie, er bräuchte nur etwas länger. „Gut, morgen machen wir uns erst einen schönen Tag und anschliessend fangen wir an zu üben. So wie du jetzt rumläufst mache ich mir wirklich sorgen um dich, ich will dich endlich wieder lachen sehen.“ Anna wusste genau, die Mathematik war nicht Julis einzigen Sorge, da waren noch mehr, aber reden wollte er nicht mit ihr drüber.
„Danke, ich hab dich lieb kleines! Ich muss los. Heute Abend meld ich mich noch mal bei dir.“ Wortlos nahm er Anna in den Arm und gab ihr einen Kuss auf die Wange und ging.
Annas Herz schlug dabei bis zum Hals. Noch nie hatte Juli Anna umarmt oder ihr gar einen Kuss gegeben. Seid über einem Jahr war sie in ihn verliebt ohne das irgendwer oder gar Juli davon wussten. Gerade deshalb litt sie mit Juli. Wenn er traurig war zerriss es ihr fast das Herz und so versuchte sie alles zu tun um ihm zu helfen. Wenn er sie doch nur an sich ranlassen würde.

Gegen 21 Uhr saß Anna im Vorgarten ihres Elternhauses. Es war ein lauwarmer Abend und Anna laß noch ein Buch, als sie Micha aus der Dunkelheit die Strasse hoch laufen sah. Micha wohnte nur ein paar Häuser weiter, also wunderte sie es nicht weiter als sie ihn sah. Aber Micha ging vorbei, ohne sie anzusehen oder gar zu grüßen. „Hallo Micha, du Träumer, was ist denn mit der los?“ rief sie ihm lachend zu. „Vergiss es, frag deinen Liebling Julian und lass mich in Ruhe und sag ihm, er soll mich auch in Ruhe lassen!“ Bevor Anna was antworten konnte war Micha weg. Anna saß wie angewurzelt auf ihrem Stuhl. [i]“Was war geschehen, haben sie sich gestritten, worüber bloß, was wollte Juli bloß mit Micha besprechen das er so zornig wurde??“[/i]
In Anna kam ein ungutes Gefühl auf und sie entschloss sich, wieder ins Haus zu gehen, falls Juli sie anrufen und mit ihr sprechen wolle.
Der ersehnte Anruf kam nicht, alles was Anna an diesem Abend noch hörte was das klappern vom Abwasch in der Küche und das heulen der Sirenen eines Krankenwagens ganz in der Nähe.

Julian - 2

-3-

Anna schlief in dieser Nacht sehr unruhig. Ständig wachte sie auf und machte sich Sorgen um Juli, er wollte sich doch noch mal melden.
Um 7 Uhr wurde Anna aus dem Schlaf gerissen. Sie hörte das Telefon klingeln und wie ihre Mutter den Hörer abnahm. Sie fragte sich, wer um diese Zeit anrief. Ob es Juli war ? Aber Juli würde nicht an einem schulfreien Tag so früh anrufen und wenn doch, würde er garantiert auf Annas eigenen Anschluss anrufen, um die Familie nicht zu wecken.
Anna fühlte, wie ihr Herz anfing zu rasen. „[i]Hoffentlich ist Juli nichts passiert,“[/i] dachte sie noch und hörte wie sich Schritte ihrer Zimmertür näherten. Vorsichtig klopfend trat ihre Mutter in das Zimmer. Sie war blass und schaute Anna mitleidig an. „Mama, was ist denn los, ist etwas passiert?“, fragte Anna entsetzt. So hatte sie ihre Mutter lange nicht mehr gesehen. Frau Jansen setzte sich zu Anna aufs Bett und strich ihr übers Haar, „Hör zu mein Schatz, du hast recht, es ist etwas passiert. Gestern Abend, gegen halb elf hat man Juli am Bach gefunden.“ Sie machte eine lange Pause. „Schatz, ich weiß, du hattest ihn sehr gern, aber du wirst das schaffen. Wenn du reden möchtest, ich bin für dich da.“ „Aber,“ Anna rang nach Fassung, „ was ist passiert ? Hat er sich verletzt ? Wo ist er denn?“ „Anna, Julian ist tot ! Seine Mutter hat mich eben angerufen und wollte uns die Nachricht überbringen.“ Anna saß reglos auf ihrem Bett und rang nach Fassung.
„Juli kann nicht tot sein Mama, er hat mir versprochen heute mit mir zusammen zu lernen. Er hat es mir versprochen, es muss ein Missverständnis sein, sicher!“
„Nein Liebling, gewiss nicht.“ Frau Jansen stand auf und ging. Wie, als sei sie meilenweit entfernt, hörte Anna die Stimme ihrer Mutter, das sie Frühstück machte.

Anna brachte keinen Bissen runter. Immer wieder ging ihr durch den Kopf was am Vorabend passiert war. Das Micha so wütend war. „Was ist passiert Mama?“ irritiert stellte Anna ihrer Mutter die Frage und wunderte sich selbst, warum sie erst jetzt begann sich zu fragen warum Juli tot war. „Man weiß es noch nicht genau. Die Polizei nimmt an, er habe sich selbst umgebracht, aber er hatte nirgendwo sichtbare Verletzungen.“

Nach dem Essen entschloss sich Anna zu Micha zu gehen. [i]Er MUSS doch wissen was geschehen war. Natürlich, Juli ging es nicht gut, aber deswegen bringt er sich doch nicht um. Er muss gestürzt sein oder so etwas...aber Selbstmord? Nein, nicht Juli. Das darf einfach nicht sein ![/i]

Natürlich war Micha schon wach, denn auch er wurde angerufen.
Als Micha Anna sah, ging er sofort zu ihr. Doch er sah anders aus als sonst, verbittert, wütend aber nicht traurig. Anna kam es seltsam vor, trotzdem nahm sie ihn in dem Arm. „Hallo Micha, wie geht es dir ?“ fragte sie ihn behutsam. „Bestens, was sollte sein ?“ „Micha, dein bester Freund ist tot und du fragst was los ist ?“ Anna konnte es nicht fassen, es schien ihr, als sei es Micha wirklich egal was passiert war.
„Ich weiß, na und ? Ehrlich gesagt, nachdem was er mir gestern angetan hat, ist es besser so !“
Fassungslos starrte Anna ihn an, nur stotternd konnte sie ihn fragen was geschehen sei.
„Wir haben uns gestritten. Ich habe Julian gesagt was Sache ist und bin gegangen. Er wollte noch zum Bach gehen, aber das war mir egal. Überhaupt muss ich gleich weg, ich soll zur Polizei gehen und denen den scheiß auch sagen.“

Verzweifelt lief Anna durch die Strassen. Sie fragte sich immer wieder was passiert sei, warum Micha seinen besten Freund plötzlich so sehr hasste, dass ihm sein Tod egal war. Ohne es zu bemerken stand Anna plötzlich vor dem Haus der Familie Michels. Sie zögerte nur kurz und klingelte dann. Johanna öffnete ihr die Tür und ließ sie hinein. Frau Michels saß im Wohnzimmer auf der Couch, ihr Mann stand am Fenster und starrte hinaus. „Hallo,“ mehr brachte Anna nicht raus, sie kämpfte gegen ihre Tränen an. Erschrocken drehte sich Herr Michels um und schaute Anna an. Ein Lächeln war auf seinem Gesicht zu erkennen. „Hallo Anna! Schön das du gekommen bist. Den ganzen Tag hat sich noch keiner bei uns gemeldet. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie es mich freut, das irgendwer sich doch noch für unseren Jungen interessiert.“ Er machte eine lange Pause und ging dann auf Anna zu. „Den ganzen Tag über seh ich die Nachbarn wie sie tuscheln und wie sie zu ,unserem haus starren und reden. Tut mir leid, setz dich Kind.“ „Was ist bloß passiert?“, Anna brach in Tränen aus.

Anna blieb bis es dunkel wurde. Sie half Frau Michels den Haushalt zu machen, nur um sich abzulenken und sie beschäftigte sich mit Johanna, die mit ihren 6 Jahren noch nicht verstehen konnte was geschehen war.
Als Anna später allein in ihrem Zimmer saß legte sie eine CD von Juli ein, die er ihr einmal geschenkt hatte. Es war Soul. [i]Natürlich Soul![/i] Anna musste lächeln.
Als sie die Musik hörte dachte sie wieder an Juli und an das, was seine Eltern ihr erzählten.
Juli wurde gestern Abend am Bach unter der großen Trauerweide gefunden. Es war sein Lieblingsplatz, hierhin ging er immer um nachzudenken, denn von hieraus hatte man einen atemberaubend schönen Blick auf die Berge. Der Bach war nur ein paar hundert Meter von dem Wohngebiet indem Juli, Micha und Anna wohnten entfernt, lag aber ein Stück außerhalb des Ortes. Wie schon Micha gesagt hatte, war er auch gestern Abend hierher gegangen. Als man ihn fand, lag er auf dem Rücken unter dem Baum und hatte seine Arme hinterm Kopf verschränkt. Er sah wohl so aus, als würde er beim Dösen eingeschlafen sein.
Irgendwann als es kühler wurde, wollte ihn ein Spaziergänger wecken, damit er sich nicht erkältet, doch da war er schon tot. Die Polizei vermutet, das er Tabletten geschluckt hat und sich damit umbrachte. Mehr erfuhren die Eltern auch erst am nächsten Tag, aber sie versprachen, das sie sich bei Anna melden würde, sowie sie etwas erfuhren.

-4-

Wie in Trance stand Anna am nächsten Morgen auf und ging zur Schule. In der ersten Stunde war Leistungskurz Deutsch, jenes Fach, das sie gemeinsam mit Juli belegt hatte. Als Anna sich auf ihren Platz setzte und sie schräg vor sich Julis leeren Platz sah, spürte sie schlagartig, das etwas fehlt.
Der Lehrer kam in die Klasse, der nicht anzumerken war das jemand fehlte. Es war, so schien Anna, als sei Juli nur krank und würde morgen wieder kommen. Herr Cellso Setze sich auf den Tisch und senkte den Blick. Ihr Deutschlehrer war ein großer, stattlicher Mann, der aus einer Großstadt hierher zog und er war einer der wenigen hier, die Julis Sehnsüchte verstanden und ihn nicht als einen Aussätzigen betrachteten. Für Herrn Cellso war Juli ein ganz normaler Schüler wie jeder andere auch. In sich zusammengesunken saß er auf dem Lehrerpult und begann mit leider Stimme zu sprechen.
"Leute, kommt, setzt euch. Ich muss euch eine traurige Mitteilung machen." Schlagartig verstummte die Klasse und Anna merkte wie sie von allen Seiten angeschaut wurde. "Ein paar von euch werden es bestimmt schon gehört haben. Einer eurer Mitschüler, Julian Michels, ist am Diensttagabend tot aufgefunden wurde. Noch ist es unklar woran genau er gestorben ist, trotzdem möchte ich mit euch darüber sprechen. Ich möchte euch und vor allem Anna, die Julian sehr nahe gestanden hat, die Möglichkeit geben über eure Gefühle zu sprechen. Natürlich bin ich auch jederzeit nach dem Unterricht für euch als Gesprächspartner da, wenn ihr das wünscht."
"Ich hab gehört der Spinner hat sich selbst ins Jenseits befördert", ergriff Andreas das Wort. "Bestimmt wollte er sich vor der Mathestunde heute drücken", rief jemand anderes hinein "oder seine Haarfarbe war leer." Die Klasse begann zu lachen und Anna unterdrückte an ihrem Tisch die aufsteigenden Tränen.
"Ruhe!" erhob Herr Cellso verärgert das Wort "Was fällt euch ein, so über einen toten Mitschüler zu reden ? Habt ihr denn überhaupt keine Moral ?" er war zornig, das sah und hörte man sofort. "Anna, möchtest du etwas sagen, du kanntest ihn schließlich am besten und es wird dir bestimmt helfen, wenn du über deine Gefühle redest."
Anna schaute vor sich auf den Tisch. Mit zitternder Stimme begann sie zu sprechen. "Juli, er war. Keiner von euch hat ihn gekannt oder sich auch nur ansatzweise für ihn und seine Meinungen und Vorstellungen interessiert. Er war ganz anders als ihr alle denkt. Er war liebevoll, intelligent und wusste genau was er wollte. Im Gegensatz zu euch hat er SEIN leben gelebt und er hat es geliebt. Nicht das Leben hier in diesem Ort, aber das Leben in all seinen Blickpunkten hat er geliebt. Menschen wie ihr und eure Familien haben ihm seine Lebensfreude genommen, indem er nicht so sein durfte wie er wollte." Weinend hörte Anna auf zu sprechen. Für einige Augenblicke war es totenstill in der Klasse, bis Herr Cellso wieder das Wort ergriff.

Wie in dieser Stunde, verlief der ganze Tag. Überall wurde über Juli geredet, plötzlich hatte jeder etwas zu ihm zu sagen und überall wurde spekuliert weshalb er sich umbrachte. Die einen meinten zu wissen, es hätte einen Abschiedsbrief gegeben, andere sagten, er hat sich erschossen oder von einer Brücke gestürzt. Fast jeder aber zog seinen Tod ins lächerliche.

Auf dem Nachhauseweg traf Anna Frau Lehwald, Julis Nachbarin, die ihn von Geburt an kannte. Ihre Worte trafen Anna besonders ins Herz. Zeitweise war Frau Lehwald wie eine Mutter zu Julian gewesen, jeden Nachmittag passte sie auf ihn auf, wenn Frau Michels ihre Einkäufe und Arzttermine erledigte. Aber, sie war auch die größte Tratschtante im Dorf.

"Vielleicht ist es besser so, er war doch nur faul und hat seiner Familie auf der Tasche gelegen, sie ständig ins Gerede gebracht und ein schlechtes Vorbild für die kleine Johanna war er auch. ja, in wenigen tagen, wird kein Mensch mehr über Julian reden, da hat seine Familie endlich ihren Frieden."
Anna rang um Fassung und es fiel ihr schwer, ihr nicht die Meinung ins Gesicht zu schreien. "Wie sie meinen," sagte Anna wortlos "und einen schönen Tag noch."
Mit gesengtem Blick ging Anna zu Julian Familie, sie hatte versprochen sich auch heute etwas um Johanne zu kümmern. Doch es kam anders.
Bei Julis Eltern war grade die Polizei, die die Familie über den neusten Stand der Ermittlung aufklären wollte. Einer der Polizisten fragte sofort nach wer Anna sei und ob sie Juli gekannt habe. Sie erklärte, das sie neben Micha Julis beste Freundin gewesen sei und einer der Polizisten bat sie, noch etwas zu bleiben, sie würden Anna gerne ein paar Fragen stellen.

Das Gespräch mit der Polizei dauerte lang, zumindest kam es Anna so vor. Sie erfuhr, das Juli Schlaftabletten und Schmerzmittel nahm, von denen noch unklar war, woher er sie bekam. Und man hatte tatsächlich einen Abschiedsbrief gefunden.

Anna wurde befragt ob sie sich erklären könnte wieso Juli sich umbrachte, aus seinen Abschiedsbrief ging es nicht eindeutig hervor.
War er deprimiert, gab es Anzeichen für einen bevorstehenden Selbstmord, war er traurig, wütend, hatte er Angst ? Viele Fragen die Anna nur schwer beantworten konnte. Viele Fragen, die in Anna neue Fragen aufwarfen.
Hätte sie seinen Tod erahnen oder gar verhindern können, hätte sie ihm mehr bei seinen Problemen helfen sollen und was hätte sie alles anders tun können ?
Als Anna nach Hause ging begann es bereits zu dämmern und wie einen Schatz hielt sie eine Kopie des Abschiedsbriefes in der Hand.

-5-

He ihr !

Was soll ich sagen ? Jetzt ist es vorbei, ich bin endlich frei ! Ich weiß, ich habe eine feige Methode dafür gewählt um frei zu sein, aber es ist die einzigste die mir noch geblieben ist. Nun wird mich niemand mehr verachten und über euch reden, keine Schulsorgen mehr und vor allem nicht mehr eingesperrt in diesem Kaff.
Eine Bitte habe ich an euch: Begrabt mich bitte oben auf dem Berg, von dort hat man eine herrliche Aussicht und spielt bitte "Freiheit" und dazu noch irgendein fröhliches Lied, denn ich will nicht das ihr weint, sondern ihr sollt euch freuen, dass endlich mein Traum frei zu sein in Erfüllung gegangen ist.

Liebe Mama, lieber Vater,

bitte verzeiht mir. Verzeiht mir, das ich der Familie soviel Kummer bereitet habe, verzeiht mir, das ich euch ein schlechter Sohn war und damit die Familie ins Gerede gebracht habe, verzeiht mir, wenn ihr wegen mir geächtet worden seit und verzeiht mir alles, was schief gelaufen ist und was ihr noch über mich erfahren werdet.
Auch wenn es euch vielleicht schwer fällt zu glauben, ich wollte euch nie Kummer bereiten. Ich liebe euch.
Vor allem aber akzeptiert bitte meine Entscheidung und lasst euch nicht vom Gerede der anderen beeinflussen.

Liebe Johanna !

Kleines Schwesterchen, du weißt gar nicht wie viel du mir bedeutest. Früher hab ich immer deine Windeln gewechselt und mit dir gespielt. Leider wirst du dich nie daran erinnern können.
Ich möchte dir nur sagen, das du so bleiben sollst wie du bist, so fröhlich und offen. Sehe der Welt immer mit offenen Augen entgegen und lass dir von niemanden deine Träume nehmen, sondern verwirkliche sie ! Geh lachend in die Welt und lass dir dieses Lachen auch von niemanden nehmen.
Ich werde immer bei dir sein und dich unterstützen !

Lieber Micha !

Du weißt was ich dir sagen möchte, bitte verzeih mir. Ich kann nix dafür ! Es ist halt passiert! Vergiss mich nicht.

Anna...meine Anna...

Ich weiss nicht was ich dir sagen soll. Egal was war , du warst immer für mich da und hast mir zugehört und geholfen. Mit deiner liebevollen und humorvollen Art hast du mich immer wieder zum lachen gebracht und mir <Mut gemacht. Sei es im bescheuertem Mathematikunterricht oder im Leben.
Du hast mir immer zugehört und zu mir gestanden. Wenn du nicht gewesen wärst, ich hätte schon viel früher aufgegeben.
Mach dir bitte keine Vorwürfe, du kannst nichts dafür und du hättest meine Entscheidung auch nicht ändern können. Tu mir den Gefallen und bleib so weltoffen und fröhlich wie du bist, so wirst du alles erreichen was du dir vornimmst.
Geh für mich durch die Welt !


Wir werden geboren um zu leben
wir leben um zu sterben
und wir sterben fürs ewige Leben.

In Liebe und Dankbarkeit

Julian

Julian - 3

- 6-

Immer und immer wieder las Anna diese Zeilen und mit jedem weiterem Mal wurden die Fragen in ihrem Kopf lauter. Die ständigen fragen nach dem "Warum?" und die wichtigste aller fragen was an jenem Abend passierte.

Am Abend klingelte noch einmal das Telefon. In letzter Zeit riefen häufiger Reporter der hiesigen Klatschpresse an um von Anna Informationen zu bekommen, doch diesmal war Julis Vater am anderem Ende der Leitung. Er bat Anna noch am selben Abend vorbei zukommen.

Schnell aß Anna noch ihren Reis mit der süß-sauren Soße die sie sich warmgemacht hatte auf und machte sich anschließend sofort auf den Weg zu Julis Eltern, was könnte nur vorgefallen sein das es so wichtig war, dass sie so schnell vorbeikommen sollte ?
Vor dem Haus der Familie Michels stand, wie schon an den letzten Tagen, ein Polizeifahrzeug. Doch diesmal war etwas anders, diesmal standen die Polizisten vor dem Auto und fingen an zu tuscheln als sie Anna sahen. Zögernd lief Anna zur Tür und sah dabei aus dem Augenwinkel die Anwohner die an den Zäunen oder hinter den Fenstern standen und rüberschauten.
An diesem Abend war es ungewohnt kalt, es war zugezogen, windig und es begann langsam zu nieseln. Anna spürte regelrecht, das keine gute Nachricht auf sie wartete. Mit zitternder Hand drückte sie den schwarzen Klingenknopf. Wie schon sooft wenn Anna klingelte öffnete Johanne die Tür.. Wie ein Blitz fuhr es Anna durch den Körper als sie das kleine Mädchen sah. Johanne war blass und sah sehr verschüchtert aus. Schnell trat Anna ein und schloss die Tür hinter sich "Die Nachbarn müssen nicht alles wissen", fuhr es Anna durch den kopf. Im selben Moment fiel Johanne Anna in den Arm und begann zu schluchzen.
"Mensch Mäuschen, was ist denn passiert?" Anna war sehr besorgt und zog Johanna mit zur Treppe, wo sie sich mit ihr hinsetzte um Johanne besser trösten zu können.
"Micha war vorhin da und die Polizei auch!", begann Johanna schluchzend zu erzählen, "und seitdem weint Mama und Papa schimpft. Mama weint eh die ganze Zeit und Papa sagt fast kein Wort. ich habe Angst, sonst war Julian immer für mich da wenn es Ärger gab. Aber jetzt ist er weg."
Anna stockte der Atem, "Micha ? was wollte er denn ?" In dem Moment indem sie es aussprach fuhr Anna ein kalter Schauer über den Rücken, was konnte Micha bloß so plötzlich gewollt haben, wo es ihm doch vor ein paar Tagen noch völlig egal war ? Wie schrecklich musste es sein, dass Juli sich deshalb umbrachte.
Immer noch klammerte sich Johanne an Anna.
Behutsam drückte Anna das kleine blonde Mädchen mit den Rehbraunen Augen von sich und schaute ihr ins Gesicht. "Geh nach oben in dein Zimmer Maus, ich spreche kurz mit deinen Eltern und dann komme ich noch mal kurz zu dir nach oben, ok?" "OK." Langsam ging sie die Treppe nach oben. Anna stand auf der ersten Stufe und schaute ihr nach. Direkt am Ende der Treppe lag Julis Zimmer, von hieraus konnte man seine Zimmertür sehen, die mit Postern von New York beklebt war. Anna war kaum in der Lage sich zu bewegen, sie starrte nur an die Tür und erinnerte sich daran, wie Julia in genau dieser Tür stand und Anna anlachte, als sie das erste mal hier war. er stand damals da oben, nur in Boxershorts und lachte einfach als er Anna sah. Ohne Grund, er lachte einfach, so wie er früher oft getan hatte, damals brauchte er nicht mal einen Grund dafür.

"Anna?" Die zitternde Stimme von Herrn Michels holte Anna schlagartig aus ihrem Träumen. Der kräftige Mann stand in der Tür zum Wohnzimmer. Wie er so dar stand, Anna hätte ihn nicht wiedererkannt, wenn sie nicht genau gewusst hätte wer vor ihr stand.
Herr Michels' Augen waren rot und mit dunklen Ringen umrandet, seine Wangen waren eingefallen, seine Lippen schmal und seine Haut aschfahl. Er ließ seine Arme einfach an seinem Körper runterhängen und er war völlig abgemagert in den letzten tagen. Die Geschehnisse der letzten tage, haben ihm jegliche Energie genommen.
"Hallo Anna, schön das du noch gekommen bist" mit einer Handbewegung forderte er Anna auf ins Wohnzimmer zu gehen, wo Julis Mutter mit versteinerte Miene und roten, verweinten Augen auf dem Sofa saß. Als sie Anna sah huschte dein Lächeln über ihr Gesicht.
"Setz dich Anna," erhob Herr Michels erneut das Wort. "Wir möchten unbedingt etwas mit dir besprechen bevor du es morgen evt. aus der presse oder von anderen erfährst."

Herr Michels stockte, als auch er sich zu Anna und seiner Frau aufs Sofa setzte. "Vielleicht hast du es ja schon gewusst, aber ich glaube nicht. ast du Julians Abschiedsbrief gelesen?"
Anna bejahrte. "Dann wirst du bestimmt auch die Worte an Michael gelesen haben. Dieser war vorhin hier um uns zu sagen , was an jenem Abend vorgefallen war. Er sagte uns, dass Julian sich in ihn verliebt hatte und er ihm das an diesem Abend sagte. Michael fühlte sich nach seiner eigenen Aussage davon beleidigt und kündigte Julian die Freundschaft, denn er wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben."
"Aber, ich habe nichts gewusst" Anna hatte Tränen in den Augen, "Julian hat mir nie etwas gesagt oder es auch nur angedeutet, ich habe es wirklich nicht gewusst.."

Noch lange blieb Anna an jenem Abend bei der Familie und versuchte mit den Eltern zu ergründen warum Julian sich nicht anders zu helfen wusste, was an diesem Abend in ihm vorging und wie man gemeinsam seine Beerdigung gestalten könnte."

Die nächsten Tage verliefen wie in einem Film. Anna verbrachte viel zeit bei Julis Familie, kümmerte sich um seine kleine Schwester, half Frau Michels im Haushalt und war einfach da. Manchmal kam es ihr so vor als gehörte sie zur Familie, als sei es das normalste der Welt wenn sie nach der Schule zu ihnen ging.
Die Schule war für Anna eine Qual, die ersten tage wurde über Julian und seinen „letzen großen Auftritt“ wie sie es alle nannten geredet, doch mit der zeit fanden sie neue Themen. Das tat Anna viel mehr weh. Sie konnte es einfach nicht verstehen, dass alle Welt Juli, ihren Juli einfach vergaßen und so taten als sei nichts geschehen. Sie konnte das nicht, jeden tag, jede freie Minuten dachte sie an ihn. Sie erinnerte sich an den Nachmittag, als sie in der Dorfschenke saßen und sich für den nächsten tag zum lernen verabredeten. Wie sie sich drauf gefreut hatte einen ganzen Nachmittag mit ihm allein zu verbringen ohne das Micha wieder dabei war. Ihre sorgen an jenem Abend als er nicht anrief und der Anruf am nächsten morgen, dessen Inhalt Anna bis jetzt noch nicht verstanden hat.

Der Tag der Beerdigung rückte immer näher und Anna fühlte sich mit jeden Tag elender. Die Beerdigung empfand sie als so entgültig.

Anna konnte in dieser Nacht nicht schlafen, fast jede Stunde wachte sie mit tränen in den Augen auf. Sie träumte von Juli, von Juli wie er lachte, mit ihr tanzte, wie er sich die Zukunft ausmalte, wie er wütend war...
Um halb acht stand sie auf und zog sich an. Draußen schien schon die sonne und Vögel zwitscherten. Anna setzte sich auf den Balkon und schaute nach draußen. Alles schien als wäre es ein völlig normaler Tag. Aber das war er nicht, heute sollte Julian beerdigt werden, lange hatte sie mit seinen Eltern geredet wie man Julis Charakter und Wünsche umsetzen konnte, mit dem Bestatter diskutiert und einen geeigneten Platz ausgesucht. Heute sollte der Tag sein vor dem Anna sich seid tagen fürchtete.

Um 10 Uhr begann der Gottesdienst. Zu Anna eigenen Überraschen war die Kirche diesmal richtig voll. Einen Augenblick lang wurde Anna warm ums Herz, denn warum sollten all die Menschen gekommen sein, wenn sie nicht mit ihr und der Familie Michels trauern wollten. Die Michels kamen kurz nach Anna. Herr und Frau Michels stützen sich gegenseitig und Johanna hielt einen alten Teddy im arm. Wie ein Messer traf es sie direkt ins Herz als sie die Worte der umstehenden Leute hörten, nein, sie kamen nicht um zu trauen, sie kamen auch nicht um ihr Beileid auszusprechen. Sie wollten gaffen.

Von der Trauerfeier bekam Anna nur Bruchstücke mit, sie saß in der ersten Reihe neben Frau Michels und hielt ihre hand. Mit der andere hand wischte sie sich immer wieder die tränen aus den Augen und starrte auf den hellen Sarg in der Mitte der Kapelle. Der Sarg war geschmückt mit bunten Blumen und sah alles andere als traurig aus.
Als der Sarg von 6 Männern aus der Kapelle getragen wurde folgte Anna ihm wie in Trance, wie in Trance sah sie zu wie der Sarg in dem Erdboden verschwand und die Leute Blumen hinunter warfen.

Die Tränen liefen ihr die Wangen runter, ihre Füße schmerzten. Sie rannte und rannte bis sie plötzlich an jenem ort war, von dem Juli ihr immer so vorgeschwärmt hatte. Anna stand plötzlich unter jener Trauerweide, an jenem Bach an dem Juli starb.
Erst jetzt wurde ihr bewusst was eigentlich geschehen war.
Anna stand neben Johanna an Julis Grab, Johanna stand weinend neben ihr und hielt dabei den Teddy fest umklammert. Nur schwer konnte Anna ihre Worte verstehen. Doch das was sie verstand zerbrachen ihr beinahe das herz. Johanna erzählte Juli von den letzen tagen, wie sehr sie ihn vermissen würde und das sie ihm ihren Lieblingsteddy schenken mochte, der dann im Himmel auf ihn aufpassen würde.
Anna selber brachte kein Wort heraus, stand nur da und starrte auf den Sarg unter ihr. In dem Moment wurde es ihr schlagartig bewusst dass sie ihren besten freund nie wiedersehen würde, das sie nie wieder mit ihm lachen würde, nie wieder lernen, nie wieder sine nähe spüren durfte. Da rannte sie los, bis sie an der weide wieder zu klarem verstand kam.

Als sie sich unter den Baum setze hatte sie das Gefühl im ganz nahe zu sein, als wäre er da, sie könne ihn nur nicht sehen.
„Juli, du fehlst mir“, brachte sie zögernd raus, „ warum hast du das denn getan?“ langsam wurden ihre Worte flüssiger und sie begann sich ihren Frust von der Seele zu reden.
„ verdammt noch mal, du hast mir versprochen immer zu mir zukommen wenn du Probleme hast und jetzt ? du bist weg, hast mich einfach im stich gelassen. Warum bloß ? Mensch Juli, ich habe dich geliebt, hätte alles für dich getan und du, du hast nicht mal den mut gehabt zu mir zu kommen. Kannst du dir vorstellen wie ich mich fühle ? hab ich was falsch gemacht ? hab ich dir denn nicht richtig zugehört ? warum hast du nie ein Wort zu mir gesagt...“

„du hast alles richtig gemacht Anna“

Anna schreckte hoch, als sie die ihr so vertraute Jungenstimme hörte. Für einen Bruchteil von Sekunden hatte sie das Gefühl Juli hatte ihr geantwortet. Doch als sie sich umdrehte stand natürlich nicht Juli vor ihr, es war Micha. Er stand am stamm des Baumes, mit den Händen in den Hosentaschen, einer Sonnenbrille auf der Nase und schaute Anna an.
„Was machst du hier ?“ Anna war völlig perplex.
Micha hatte sich bisher nen Dreck drum gescherrt und nun stand er hier vor ihr.
„Ich hab gesehen wie du weggelaufen bist und bin dir hinterher. Ich dachte es wäre zeit zu reden. Du hast es verdient.“
„Was ist passiert Micha, sag mir doch was passiert ist.“

Micha setze sich neben Anna auf die Wiese. Nun konnte Anna sehen das er ganz rote Augen hatte, nicht mal seine Sonnenbrille konnte dies noch verbergen.
„Juli kam an dem tag zu mir, wir wollten abends noch Billard spielen oder so. Wir waren dann auf der Suche nach was passendem als er immer ruhiger wurde und irgendwann, nachdem ich ihn 5 mal gefragt habe, rückte er mit der Sprache raus das er mir was sagen musste. Er erzählte mir von seinen Problemen, wie gern er dich hatte Anna, dass er dir alles erzählen könnte nur das eine nicht. Vor dem einen hätte er selber angst, weil er nicht wüsste wie du reagieren würdest wenn du es wüsstest. Deshalb hat er es dir nicht gesagt. Juli sagte mir, das er sich verliebt hätte, aber nicht in eine Frau, sondern in einen Mann. Zuerst dachte ich ‚ ok, was soll’s, jedem dass seine’ doch als er dann sagte das er in mich verliebt war sah ich rot. Ich musste plötzlich daran denken was passiert wenn das raus kommt, dann wäre ich doch genauso untendurch hier, wie Juli es eh schon war. Ich dachte, dann könne ich meine Karriere sofort an den Nagel hängen und schrie in an, was ihm einfalle, das er pervers wäre und solche Sachen. Ich war richtig wütend auf ihn nur weil er ehrlich zu mir war. Er versuchte es mir zu erklären doch ich schrie ihn nur an, dass ich ihn nie wiedersehen wolle und ich dachte, wenn nie jemand was davon erfährt würde er vielleicht wieder normal. Dann ist Juli weggegangen, er sagte er gehe hierher, ich solle doch nachkommen wenn ich mich beruhigt hätte. Das nächste was ich von ihm hörte, war der Anruf am nächsten morgen das er tot sei.
Ich hab meinen besten freund auf dem gewissen weil ich so engstirnig war wie alle hier und ich glaub genau deswegen hat er sich umgebracht. Weil er dachte oder eher wusste alle anderen würden wohl genauso reagieren wie ich.“
Mehr konnte Micha nicht sagen, er saß nur noch und weinte. Er weinte wie ein kleines Kind. Anna nahm in ihn ihre arme und fing ebenfalls an zu weinen.

Die nächste Zeit viel Anna sehr schwer, Juli fehlte ihr immer noch sehr und kaum eine stunde verging, in der sie nicht an ihn dachte. Jeden tag nach der Schule ging Anna zu Familie Michels um mit Johanna die Hausaufgaben zu machen und weil sie sich dort einfach wohl fühlte. Nach Julis Tod haben sich seine Eltern geändert. Sie nehmen es sich nicht mehr zu Herzen was andere sagen, man kann sagen, sie haben von Ihrem Sohn gelernt.
Besonders glücklich ist Anna immer gewesen als sie in dieser zeit in Julis Zimmer sein konnte, seine Eltern haben es nicht übers Herz gebracht sein Zimmer leer zu räumen und es roch nach ihm. Anna setzte sich oft auf sein Bett und betrachtete die Wände, dann fühlte sie sich ihm immer besonders Nahe.
Zu Hause auf ihrem Nachttisch stand noch lange zeit ein Foto von Juli, das ihn so zeigte, wie sie ihn nie vergessen wollte. Lachend und mit strahlenden blaue Augen. Daneben stand ein Stofftier. Ein alter Teddybär, den Juli von geburt an besessen hatte. Er hat ihr mal erzählt wie viel ihm der Teddy
Bedeutete und nun gehörte er ihr. Julis Mutter gab ihn ihr am Tag nach Julis Beerdigung mit den Worten, dass Juli es so gewollte hätte.

Der Teddy hat noch viel erlebt, zum Beispiel reiste er zwei Jahre später mit Anna nach New York, das Foto vom Teddy und der Skyline legte Anna später auf Julis Grab, auf dessen Grabstein steht „Frei wie ein Vogel“.



Free As A Bird (Lennon/McCartney/Harrison/Starkey)


Free As A Bird,
It's the next best thing to be
Free as a bird.
Home
Home and dry
Like a homing bird I fly,
As a bird on wing

Whatever happened to the life that we once knew
Can we really live without each other?
Where did we lose the touch
That seemed to mean so much?
It always made me feel so....

Free -- as a bird,
It's the next best thing to be
Free as a bird.
Home
Home and dry
Like a homing bird I fly--as bird on wing

Whatever happened to the life that we once knew
It Always made me feel soooo
Free

Free as a bird
It's the next best thing to be
Free as a bird
Free as a bird
Free as a bird

Bilder der Vergangenheit

Nur ein leises rascheln der Blätter im Wind war zu hören. Draußen war es mittlerweile finstere Nacht geworden. Julia und Basti saßen gemeinsam auf Bastis Bett und starrten auf das flackern der Kerzen vor ihnen. Wie fast jeden Abend war sie auch dieses mal zu ihm gekommen. Julia wusste selber nicht was sie eigentlich immer zu ihm zog. Meistens lief sie irgendwann fluchtartig nach Hause. Aber heute war es anders gewesen. Als sie bei ihm ankam konnte sie nur von unten ein gedämmtes Licht wahrnehmen. Als sie nachschauen ging saß er regungslos auf dem Bett und starrte in ein Buch in seinen Händen. Basti nahm Julia erst war als sie sich neben ihn aufs Bett setzte und ihre Hand auf seine legte. „Hey“ Julia erschrak als sie seine Stimme hörte, seine Worte waren nur ein flüstern und sein Blick, der sie traf war leer. Noch nie hatte sie ihn so gesehen, so..so..sie konnte es nicht in Worte fassen. Sein Blick war leer, seine Arme hingen schlaff an seinem Körper herunter und es schien als sei jeder funke Lebenswille aus seinen Körper gewichen. Instinktiv wusste Julia, dass diese Nacht alles ändern würde wenn sie jetzt nicht gehen würde. Doch konnte sie einfach gehen ? Konnte sie ihn jetzt allein lassen, jetzt wo sie sah wie schlecht es ihm ging ? Nein. Langsam ging sie um das Bett herum und setzte sich neben ihn unter die Decke und legte ihren Kopf an seine Schulter. „Was ist passiert Basti?“ Ihre Worte waren ebenfalls nur ein flüstern, wie seine kurz zuvor. Wortlos schob er ihr das Buch hinüber, dass er nach wie vor in den Händen hielt. Es war ein altes Fotoalbum. Auf den aufgeschlagenen Seiten waren zwei Bilder zu sehen, dass eine zeigte einen jungen Mann der fröhlich und unbeschwert in die Kamera lachte. Auf der anderen Seite war der selbe junge Mann zu sehen, wie er mit einem kleinen Kind auf dem Arm an einem Baum gelehnt stand. Der Mann auf dem Bild sah so glücklich aus wie er da stand und das Kind anlächelte und das Kind lächelte zurück. Lächelte unbeschwert und glücklich zurück.
„Erzählst du es mir ?“ Julia wusste das dies nicht irgendwelche Bilder für Basti sein konnten. Im laufe der Jahre waren die Bilder und die dazugehörigen Seiten schon stark abgegriffen und wäre es nicht so dunkel in dem Raum gewesen, Julia hätte auch die vielen welken Flecken seiner Tränen sehen können.
„Mein Vater. Das kleine Kind auf seinem Arm bin ich. Als das Foto gemacht wurde war ich gerade drei geworden. Da war die Welt noch in Ordnung für mich.“ „Was ist passiert?“ „Lange Zeit wusste ich das selber nicht genau. Er starb nur wenige Wochen nachdem das Bild entstand. Meine Mum hat mir immer erzählt, dass er krank war, er wollte nicht das wir wussten welche Krankheit er hatte. Heute klingt das auch für mich lächerlich. Aber ich war ein Kind, ich hab es ihr geglaubt und immer wieder merkte ich an ihrer Reaktion dass sie nicht über ihn reden wollte. Sie ist immer meinen Fragen ausgewichen, wurde nervös wenn ich von Papa geredet habe. Heute weiß ich auch warum.
Diese merkwürdigen Bilder hatte ich schon immer im Kopf. Wie meine Mum weinend am Boden saß und seine Kleidung zusammengeräumt hat, Beine die am Boden lagen und immer wieder diese Stimme ‚bringt doch endlich das Kind hier weg’ und vor allem dieser laute Knall, den höre ich heute noch. Es hat sich angehört wie ein lauter Donnerschlag.
Irgendwann als ich 15 war hat meine Mum mir erzählt was wirklich geschah in jener Nacht, ich durfte Auszüge aus Polizeiberichten lesen und seitdem sind die Bilder ganz klar und ich wird sie nicht mehr los.
Ich weiß noch, dass wir Mittags zusammen im Zoo waren. Abends hat er mir was vorgelesen, als ich zu Bett gehen sollte. Aufgewacht bin ich von einem lauten Knall. Es hat sich angehört wie Donner, aber draußen war doch alles still. Weißt du,. Ich hatte immer Angst vor Blitz und Donner, also bin ich aufgestanden und wollte zu Dad ins Bett gehen, aber da war keiner. Das nächste an das ich mich erinnere sind seine Beine, ich sehe sie genau vor mir, er trug eine blaue Hose und seine schwarzen Schuhe. Dann höre ich diese dunkle Männerstimme, die sagt dass mich jemand rausbringen soll. Und ich erinnere mich daran das meine Hände ganz rot waren....
Ich hab diese Bilder jahrelang verdrängt und teilweise tu ich es noch Heute. Merkwürdig oder ? Dass ich mich an einige Bilder erinnern kann und an andere nicht. Man denkt auch immer es macht keinen Unterschied woran jemand gestorben ist. Doch das tut es. Es ist ein großer Unterschied. Als meine Mum mir genau erzählte was in jener Nacht geschah, das er sich umgebracht hatte, erschossen hatte, da zerbrach eine Welt für mich. Ich las den Ermittlungsbericht, las das ich mit ihm alleine war und in meiner kindlichen Vernunft ihm ein Pflaster auf die Einschusswunde klebte, daher die blutverschmierten Hände, dass ich zur Nachbarin ging und sagte das Dad ‚Aua’ am Kopf hätte und nicht aufwacht.
Weißt du Julia, ich habe so viele Menschen getötet, habe soviel leid gesehen und soviel leid gestiftet aber den feigen Tod meinen eigenen Vaters, den kann ich nicht verkraften.“

Julia saß schweigend neben Basti und starrte jetzt an seiner Stelle auf das Foto. Starrte auf den jungen Mann der doch so glücklich aussieht auf diesem Bild und eine Frage hämmerte immer lauter in ihren Kopf. Die Frage nach dem „warum?“. Sie hatte es einfach ausgesprochen, wusste selber nicht ob sie es hören wollte und ob er es ihr erzählen würde.
„Warum ? Ich weiß nicht, dass hat er mit ins Grab genommen. Vielleicht war es, dass er Schulden hatte von denen keiner etwas wusste, vielleicht sein Alkoholproblem, durch das er seine Arbeit zu verlieren drohte, vielleicht war es das, das er von seinem besten Freund immer wieder gesagt bekam, das seine Frau ihn mit den Kindern verlassen würde, wenn sie das alles erfahren würde. Vielleicht war er einfach nur Feige und wollte weglaufen vor seinen Problemen. Viele behaupten dass. Sie sagen er wollte die Verantwortung nicht tragen und hätte uns einfach im Stich gelassen. Aber ich glaube das nicht, hab es nie geglaubt. Er hatte Versicherungen auf uns abgeschlossen, hätten wir diese ausbezahlt bekommen, alle seine Schulden wären bezahlt gewesen, er hatte es erst ein paar Tage vor seinen Tod überprüft. Er wollte bestimmt nur das wir ein besseres leben anfangen konnten und wenn es nur ohne ihn ging. Leute die ihn nicht kannten sagen er war feige und hat den einfachsten Weg gewählt, Menschen die ihn wirklich kannten meinen er hat es aus Liebe zu seiner Familie getan, wollte nicht das sie mit so vielen Problemen leben musste für die sie nix konnten. Aber was es wirklich war, warum er das tat, dass wusste nur er allein. Heute ist sein Todestag und ich frage mich jedes Mal, wann der Schmerz darüber endlich weniger wird und ob ich es je verstehen werde warum er das tat. Ich hab seine Entscheidung akzeptiert, verteidige ihn wenn jemand schlecht über ihn redet, doch wenn mich jemand fragt ob ich es verstehe muss ich es verneinen. Habe ich nie, tue ich nicht und werde ich wohl auch nie.“
Genauso wie Basti liefen Julia stumme Tränen die Wangen herunter. Beide redeten diese Nacht nicht viel miteinander, genossen nur die Nähe des anderen und das Wissen, dem anderen wirklich vertrauen zu können. Sie wusste ihre intimsten Geheimnisse und würden sich nie damit verletzten.
In dieser Nacht ging Julia nicht nach hause. Noch lange schaute sie mit Basti auf das flackern der Kerzen bis diese erloschen und schliefen eng aneinandergeschmiegt ein. Es war die erste Nacht in der Julia nicht Panikartig nach Hause lief als ihr bewusst wurde was sie tat und sie fühlte sie gut dabei. Es fühlte sich gut an zu wissen neben wem sie lag und warum sie das tat. Und es fühlte sich jeden morgen wieder gut an.


Where are you, father
I just can't understand
why you leave me alnone every night
when I'm dreaming of our lives
I cry for you , father

Where are you, father?
There's so much to say
I've so much to tell you
Oh I'm so afraid
So listen my father
I just can't understand
why you leave me alone
in desperate nights
when I dream about our life
I cry for you, father

( Christian Wunderlich - father )

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