Bilder der Vergangenheit

Nur ein leises rascheln der Blätter im Wind war zu hören. Draußen war es mittlerweile finstere Nacht geworden. Julia und Basti saßen gemeinsam auf Bastis Bett und starrten auf das flackern der Kerzen vor ihnen. Wie fast jeden Abend war sie auch dieses mal zu ihm gekommen. Julia wusste selber nicht was sie eigentlich immer zu ihm zog. Meistens lief sie irgendwann fluchtartig nach Hause. Aber heute war es anders gewesen. Als sie bei ihm ankam konnte sie nur von unten ein gedämmtes Licht wahrnehmen. Als sie nachschauen ging saß er regungslos auf dem Bett und starrte in ein Buch in seinen Händen. Basti nahm Julia erst war als sie sich neben ihn aufs Bett setzte und ihre Hand auf seine legte. „Hey“ Julia erschrak als sie seine Stimme hörte, seine Worte waren nur ein flüstern und sein Blick, der sie traf war leer. Noch nie hatte sie ihn so gesehen, so..so..sie konnte es nicht in Worte fassen. Sein Blick war leer, seine Arme hingen schlaff an seinem Körper herunter und es schien als sei jeder funke Lebenswille aus seinen Körper gewichen. Instinktiv wusste Julia, dass diese Nacht alles ändern würde wenn sie jetzt nicht gehen würde. Doch konnte sie einfach gehen ? Konnte sie ihn jetzt allein lassen, jetzt wo sie sah wie schlecht es ihm ging ? Nein. Langsam ging sie um das Bett herum und setzte sich neben ihn unter die Decke und legte ihren Kopf an seine Schulter. „Was ist passiert Basti?“ Ihre Worte waren ebenfalls nur ein flüstern, wie seine kurz zuvor. Wortlos schob er ihr das Buch hinüber, dass er nach wie vor in den Händen hielt. Es war ein altes Fotoalbum. Auf den aufgeschlagenen Seiten waren zwei Bilder zu sehen, dass eine zeigte einen jungen Mann der fröhlich und unbeschwert in die Kamera lachte. Auf der anderen Seite war der selbe junge Mann zu sehen, wie er mit einem kleinen Kind auf dem Arm an einem Baum gelehnt stand. Der Mann auf dem Bild sah so glücklich aus wie er da stand und das Kind anlächelte und das Kind lächelte zurück. Lächelte unbeschwert und glücklich zurück.
„Erzählst du es mir ?“ Julia wusste das dies nicht irgendwelche Bilder für Basti sein konnten. Im laufe der Jahre waren die Bilder und die dazugehörigen Seiten schon stark abgegriffen und wäre es nicht so dunkel in dem Raum gewesen, Julia hätte auch die vielen welken Flecken seiner Tränen sehen können.
„Mein Vater. Das kleine Kind auf seinem Arm bin ich. Als das Foto gemacht wurde war ich gerade drei geworden. Da war die Welt noch in Ordnung für mich.“ „Was ist passiert?“ „Lange Zeit wusste ich das selber nicht genau. Er starb nur wenige Wochen nachdem das Bild entstand. Meine Mum hat mir immer erzählt, dass er krank war, er wollte nicht das wir wussten welche Krankheit er hatte. Heute klingt das auch für mich lächerlich. Aber ich war ein Kind, ich hab es ihr geglaubt und immer wieder merkte ich an ihrer Reaktion dass sie nicht über ihn reden wollte. Sie ist immer meinen Fragen ausgewichen, wurde nervös wenn ich von Papa geredet habe. Heute weiß ich auch warum.
Diese merkwürdigen Bilder hatte ich schon immer im Kopf. Wie meine Mum weinend am Boden saß und seine Kleidung zusammengeräumt hat, Beine die am Boden lagen und immer wieder diese Stimme ‚bringt doch endlich das Kind hier weg’ und vor allem dieser laute Knall, den höre ich heute noch. Es hat sich angehört wie ein lauter Donnerschlag.
Irgendwann als ich 15 war hat meine Mum mir erzählt was wirklich geschah in jener Nacht, ich durfte Auszüge aus Polizeiberichten lesen und seitdem sind die Bilder ganz klar und ich wird sie nicht mehr los.
Ich weiß noch, dass wir Mittags zusammen im Zoo waren. Abends hat er mir was vorgelesen, als ich zu Bett gehen sollte. Aufgewacht bin ich von einem lauten Knall. Es hat sich angehört wie Donner, aber draußen war doch alles still. Weißt du,. Ich hatte immer Angst vor Blitz und Donner, also bin ich aufgestanden und wollte zu Dad ins Bett gehen, aber da war keiner. Das nächste an das ich mich erinnere sind seine Beine, ich sehe sie genau vor mir, er trug eine blaue Hose und seine schwarzen Schuhe. Dann höre ich diese dunkle Männerstimme, die sagt dass mich jemand rausbringen soll. Und ich erinnere mich daran das meine Hände ganz rot waren....
Ich hab diese Bilder jahrelang verdrängt und teilweise tu ich es noch Heute. Merkwürdig oder ? Dass ich mich an einige Bilder erinnern kann und an andere nicht. Man denkt auch immer es macht keinen Unterschied woran jemand gestorben ist. Doch das tut es. Es ist ein großer Unterschied. Als meine Mum mir genau erzählte was in jener Nacht geschah, das er sich umgebracht hatte, erschossen hatte, da zerbrach eine Welt für mich. Ich las den Ermittlungsbericht, las das ich mit ihm alleine war und in meiner kindlichen Vernunft ihm ein Pflaster auf die Einschusswunde klebte, daher die blutverschmierten Hände, dass ich zur Nachbarin ging und sagte das Dad ‚Aua’ am Kopf hätte und nicht aufwacht.
Weißt du Julia, ich habe so viele Menschen getötet, habe soviel leid gesehen und soviel leid gestiftet aber den feigen Tod meinen eigenen Vaters, den kann ich nicht verkraften.“

Julia saß schweigend neben Basti und starrte jetzt an seiner Stelle auf das Foto. Starrte auf den jungen Mann der doch so glücklich aussieht auf diesem Bild und eine Frage hämmerte immer lauter in ihren Kopf. Die Frage nach dem „warum?“. Sie hatte es einfach ausgesprochen, wusste selber nicht ob sie es hören wollte und ob er es ihr erzählen würde.
„Warum ? Ich weiß nicht, dass hat er mit ins Grab genommen. Vielleicht war es, dass er Schulden hatte von denen keiner etwas wusste, vielleicht sein Alkoholproblem, durch das er seine Arbeit zu verlieren drohte, vielleicht war es das, das er von seinem besten Freund immer wieder gesagt bekam, das seine Frau ihn mit den Kindern verlassen würde, wenn sie das alles erfahren würde. Vielleicht war er einfach nur Feige und wollte weglaufen vor seinen Problemen. Viele behaupten dass. Sie sagen er wollte die Verantwortung nicht tragen und hätte uns einfach im Stich gelassen. Aber ich glaube das nicht, hab es nie geglaubt. Er hatte Versicherungen auf uns abgeschlossen, hätten wir diese ausbezahlt bekommen, alle seine Schulden wären bezahlt gewesen, er hatte es erst ein paar Tage vor seinen Tod überprüft. Er wollte bestimmt nur das wir ein besseres leben anfangen konnten und wenn es nur ohne ihn ging. Leute die ihn nicht kannten sagen er war feige und hat den einfachsten Weg gewählt, Menschen die ihn wirklich kannten meinen er hat es aus Liebe zu seiner Familie getan, wollte nicht das sie mit so vielen Problemen leben musste für die sie nix konnten. Aber was es wirklich war, warum er das tat, dass wusste nur er allein. Heute ist sein Todestag und ich frage mich jedes Mal, wann der Schmerz darüber endlich weniger wird und ob ich es je verstehen werde warum er das tat. Ich hab seine Entscheidung akzeptiert, verteidige ihn wenn jemand schlecht über ihn redet, doch wenn mich jemand fragt ob ich es verstehe muss ich es verneinen. Habe ich nie, tue ich nicht und werde ich wohl auch nie.“
Genauso wie Basti liefen Julia stumme Tränen die Wangen herunter. Beide redeten diese Nacht nicht viel miteinander, genossen nur die Nähe des anderen und das Wissen, dem anderen wirklich vertrauen zu können. Sie wusste ihre intimsten Geheimnisse und würden sich nie damit verletzten.
In dieser Nacht ging Julia nicht nach hause. Noch lange schaute sie mit Basti auf das flackern der Kerzen bis diese erloschen und schliefen eng aneinandergeschmiegt ein. Es war die erste Nacht in der Julia nicht Panikartig nach Hause lief als ihr bewusst wurde was sie tat und sie fühlte sie gut dabei. Es fühlte sich gut an zu wissen neben wem sie lag und warum sie das tat. Und es fühlte sich jeden morgen wieder gut an.


Where are you, father
I just can't understand
why you leave me alnone every night
when I'm dreaming of our lives
I cry for you , father

Where are you, father?
There's so much to say
I've so much to tell you
Oh I'm so afraid
So listen my father
I just can't understand
why you leave me alone
in desperate nights
when I dream about our life
I cry for you, father

( Christian Wunderlich - father )

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