Julian - 3

- 6-

Immer und immer wieder las Anna diese Zeilen und mit jedem weiterem Mal wurden die Fragen in ihrem Kopf lauter. Die ständigen fragen nach dem "Warum?" und die wichtigste aller fragen was an jenem Abend passierte.

Am Abend klingelte noch einmal das Telefon. In letzter Zeit riefen häufiger Reporter der hiesigen Klatschpresse an um von Anna Informationen zu bekommen, doch diesmal war Julis Vater am anderem Ende der Leitung. Er bat Anna noch am selben Abend vorbei zukommen.

Schnell aß Anna noch ihren Reis mit der süß-sauren Soße die sie sich warmgemacht hatte auf und machte sich anschließend sofort auf den Weg zu Julis Eltern, was könnte nur vorgefallen sein das es so wichtig war, dass sie so schnell vorbeikommen sollte ?
Vor dem Haus der Familie Michels stand, wie schon an den letzten Tagen, ein Polizeifahrzeug. Doch diesmal war etwas anders, diesmal standen die Polizisten vor dem Auto und fingen an zu tuscheln als sie Anna sahen. Zögernd lief Anna zur Tür und sah dabei aus dem Augenwinkel die Anwohner die an den Zäunen oder hinter den Fenstern standen und rüberschauten.
An diesem Abend war es ungewohnt kalt, es war zugezogen, windig und es begann langsam zu nieseln. Anna spürte regelrecht, das keine gute Nachricht auf sie wartete. Mit zitternder Hand drückte sie den schwarzen Klingenknopf. Wie schon sooft wenn Anna klingelte öffnete Johanne die Tür.. Wie ein Blitz fuhr es Anna durch den Körper als sie das kleine Mädchen sah. Johanne war blass und sah sehr verschüchtert aus. Schnell trat Anna ein und schloss die Tür hinter sich "Die Nachbarn müssen nicht alles wissen", fuhr es Anna durch den kopf. Im selben Moment fiel Johanne Anna in den Arm und begann zu schluchzen.
"Mensch Mäuschen, was ist denn passiert?" Anna war sehr besorgt und zog Johanna mit zur Treppe, wo sie sich mit ihr hinsetzte um Johanne besser trösten zu können.
"Micha war vorhin da und die Polizei auch!", begann Johanna schluchzend zu erzählen, "und seitdem weint Mama und Papa schimpft. Mama weint eh die ganze Zeit und Papa sagt fast kein Wort. ich habe Angst, sonst war Julian immer für mich da wenn es Ärger gab. Aber jetzt ist er weg."
Anna stockte der Atem, "Micha ? was wollte er denn ?" In dem Moment indem sie es aussprach fuhr Anna ein kalter Schauer über den Rücken, was konnte Micha bloß so plötzlich gewollt haben, wo es ihm doch vor ein paar Tagen noch völlig egal war ? Wie schrecklich musste es sein, dass Juli sich deshalb umbrachte.
Immer noch klammerte sich Johanne an Anna.
Behutsam drückte Anna das kleine blonde Mädchen mit den Rehbraunen Augen von sich und schaute ihr ins Gesicht. "Geh nach oben in dein Zimmer Maus, ich spreche kurz mit deinen Eltern und dann komme ich noch mal kurz zu dir nach oben, ok?" "OK." Langsam ging sie die Treppe nach oben. Anna stand auf der ersten Stufe und schaute ihr nach. Direkt am Ende der Treppe lag Julis Zimmer, von hieraus konnte man seine Zimmertür sehen, die mit Postern von New York beklebt war. Anna war kaum in der Lage sich zu bewegen, sie starrte nur an die Tür und erinnerte sich daran, wie Julia in genau dieser Tür stand und Anna anlachte, als sie das erste mal hier war. er stand damals da oben, nur in Boxershorts und lachte einfach als er Anna sah. Ohne Grund, er lachte einfach, so wie er früher oft getan hatte, damals brauchte er nicht mal einen Grund dafür.

"Anna?" Die zitternde Stimme von Herrn Michels holte Anna schlagartig aus ihrem Träumen. Der kräftige Mann stand in der Tür zum Wohnzimmer. Wie er so dar stand, Anna hätte ihn nicht wiedererkannt, wenn sie nicht genau gewusst hätte wer vor ihr stand.
Herr Michels' Augen waren rot und mit dunklen Ringen umrandet, seine Wangen waren eingefallen, seine Lippen schmal und seine Haut aschfahl. Er ließ seine Arme einfach an seinem Körper runterhängen und er war völlig abgemagert in den letzten tagen. Die Geschehnisse der letzten tage, haben ihm jegliche Energie genommen.
"Hallo Anna, schön das du noch gekommen bist" mit einer Handbewegung forderte er Anna auf ins Wohnzimmer zu gehen, wo Julis Mutter mit versteinerte Miene und roten, verweinten Augen auf dem Sofa saß. Als sie Anna sah huschte dein Lächeln über ihr Gesicht.
"Setz dich Anna," erhob Herr Michels erneut das Wort. "Wir möchten unbedingt etwas mit dir besprechen bevor du es morgen evt. aus der presse oder von anderen erfährst."

Herr Michels stockte, als auch er sich zu Anna und seiner Frau aufs Sofa setzte. "Vielleicht hast du es ja schon gewusst, aber ich glaube nicht. ast du Julians Abschiedsbrief gelesen?"
Anna bejahrte. "Dann wirst du bestimmt auch die Worte an Michael gelesen haben. Dieser war vorhin hier um uns zu sagen , was an jenem Abend vorgefallen war. Er sagte uns, dass Julian sich in ihn verliebt hatte und er ihm das an diesem Abend sagte. Michael fühlte sich nach seiner eigenen Aussage davon beleidigt und kündigte Julian die Freundschaft, denn er wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben."
"Aber, ich habe nichts gewusst" Anna hatte Tränen in den Augen, "Julian hat mir nie etwas gesagt oder es auch nur angedeutet, ich habe es wirklich nicht gewusst.."

Noch lange blieb Anna an jenem Abend bei der Familie und versuchte mit den Eltern zu ergründen warum Julian sich nicht anders zu helfen wusste, was an diesem Abend in ihm vorging und wie man gemeinsam seine Beerdigung gestalten könnte."

Die nächsten Tage verliefen wie in einem Film. Anna verbrachte viel zeit bei Julis Familie, kümmerte sich um seine kleine Schwester, half Frau Michels im Haushalt und war einfach da. Manchmal kam es ihr so vor als gehörte sie zur Familie, als sei es das normalste der Welt wenn sie nach der Schule zu ihnen ging.
Die Schule war für Anna eine Qual, die ersten tage wurde über Julian und seinen „letzen großen Auftritt“ wie sie es alle nannten geredet, doch mit der zeit fanden sie neue Themen. Das tat Anna viel mehr weh. Sie konnte es einfach nicht verstehen, dass alle Welt Juli, ihren Juli einfach vergaßen und so taten als sei nichts geschehen. Sie konnte das nicht, jeden tag, jede freie Minuten dachte sie an ihn. Sie erinnerte sich an den Nachmittag, als sie in der Dorfschenke saßen und sich für den nächsten tag zum lernen verabredeten. Wie sie sich drauf gefreut hatte einen ganzen Nachmittag mit ihm allein zu verbringen ohne das Micha wieder dabei war. Ihre sorgen an jenem Abend als er nicht anrief und der Anruf am nächsten morgen, dessen Inhalt Anna bis jetzt noch nicht verstanden hat.

Der Tag der Beerdigung rückte immer näher und Anna fühlte sich mit jeden Tag elender. Die Beerdigung empfand sie als so entgültig.

Anna konnte in dieser Nacht nicht schlafen, fast jede Stunde wachte sie mit tränen in den Augen auf. Sie träumte von Juli, von Juli wie er lachte, mit ihr tanzte, wie er sich die Zukunft ausmalte, wie er wütend war...
Um halb acht stand sie auf und zog sich an. Draußen schien schon die sonne und Vögel zwitscherten. Anna setzte sich auf den Balkon und schaute nach draußen. Alles schien als wäre es ein völlig normaler Tag. Aber das war er nicht, heute sollte Julian beerdigt werden, lange hatte sie mit seinen Eltern geredet wie man Julis Charakter und Wünsche umsetzen konnte, mit dem Bestatter diskutiert und einen geeigneten Platz ausgesucht. Heute sollte der Tag sein vor dem Anna sich seid tagen fürchtete.

Um 10 Uhr begann der Gottesdienst. Zu Anna eigenen Überraschen war die Kirche diesmal richtig voll. Einen Augenblick lang wurde Anna warm ums Herz, denn warum sollten all die Menschen gekommen sein, wenn sie nicht mit ihr und der Familie Michels trauern wollten. Die Michels kamen kurz nach Anna. Herr und Frau Michels stützen sich gegenseitig und Johanna hielt einen alten Teddy im arm. Wie ein Messer traf es sie direkt ins Herz als sie die Worte der umstehenden Leute hörten, nein, sie kamen nicht um zu trauen, sie kamen auch nicht um ihr Beileid auszusprechen. Sie wollten gaffen.

Von der Trauerfeier bekam Anna nur Bruchstücke mit, sie saß in der ersten Reihe neben Frau Michels und hielt ihre hand. Mit der andere hand wischte sie sich immer wieder die tränen aus den Augen und starrte auf den hellen Sarg in der Mitte der Kapelle. Der Sarg war geschmückt mit bunten Blumen und sah alles andere als traurig aus.
Als der Sarg von 6 Männern aus der Kapelle getragen wurde folgte Anna ihm wie in Trance, wie in Trance sah sie zu wie der Sarg in dem Erdboden verschwand und die Leute Blumen hinunter warfen.

Die Tränen liefen ihr die Wangen runter, ihre Füße schmerzten. Sie rannte und rannte bis sie plötzlich an jenem ort war, von dem Juli ihr immer so vorgeschwärmt hatte. Anna stand plötzlich unter jener Trauerweide, an jenem Bach an dem Juli starb.
Erst jetzt wurde ihr bewusst was eigentlich geschehen war.
Anna stand neben Johanna an Julis Grab, Johanna stand weinend neben ihr und hielt dabei den Teddy fest umklammert. Nur schwer konnte Anna ihre Worte verstehen. Doch das was sie verstand zerbrachen ihr beinahe das herz. Johanna erzählte Juli von den letzen tagen, wie sehr sie ihn vermissen würde und das sie ihm ihren Lieblingsteddy schenken mochte, der dann im Himmel auf ihn aufpassen würde.
Anna selber brachte kein Wort heraus, stand nur da und starrte auf den Sarg unter ihr. In dem Moment wurde es ihr schlagartig bewusst dass sie ihren besten freund nie wiedersehen würde, das sie nie wieder mit ihm lachen würde, nie wieder lernen, nie wieder sine nähe spüren durfte. Da rannte sie los, bis sie an der weide wieder zu klarem verstand kam.

Als sie sich unter den Baum setze hatte sie das Gefühl im ganz nahe zu sein, als wäre er da, sie könne ihn nur nicht sehen.
„Juli, du fehlst mir“, brachte sie zögernd raus, „ warum hast du das denn getan?“ langsam wurden ihre Worte flüssiger und sie begann sich ihren Frust von der Seele zu reden.
„ verdammt noch mal, du hast mir versprochen immer zu mir zukommen wenn du Probleme hast und jetzt ? du bist weg, hast mich einfach im stich gelassen. Warum bloß ? Mensch Juli, ich habe dich geliebt, hätte alles für dich getan und du, du hast nicht mal den mut gehabt zu mir zu kommen. Kannst du dir vorstellen wie ich mich fühle ? hab ich was falsch gemacht ? hab ich dir denn nicht richtig zugehört ? warum hast du nie ein Wort zu mir gesagt...“

„du hast alles richtig gemacht Anna“

Anna schreckte hoch, als sie die ihr so vertraute Jungenstimme hörte. Für einen Bruchteil von Sekunden hatte sie das Gefühl Juli hatte ihr geantwortet. Doch als sie sich umdrehte stand natürlich nicht Juli vor ihr, es war Micha. Er stand am stamm des Baumes, mit den Händen in den Hosentaschen, einer Sonnenbrille auf der Nase und schaute Anna an.
„Was machst du hier ?“ Anna war völlig perplex.
Micha hatte sich bisher nen Dreck drum gescherrt und nun stand er hier vor ihr.
„Ich hab gesehen wie du weggelaufen bist und bin dir hinterher. Ich dachte es wäre zeit zu reden. Du hast es verdient.“
„Was ist passiert Micha, sag mir doch was passiert ist.“

Micha setze sich neben Anna auf die Wiese. Nun konnte Anna sehen das er ganz rote Augen hatte, nicht mal seine Sonnenbrille konnte dies noch verbergen.
„Juli kam an dem tag zu mir, wir wollten abends noch Billard spielen oder so. Wir waren dann auf der Suche nach was passendem als er immer ruhiger wurde und irgendwann, nachdem ich ihn 5 mal gefragt habe, rückte er mit der Sprache raus das er mir was sagen musste. Er erzählte mir von seinen Problemen, wie gern er dich hatte Anna, dass er dir alles erzählen könnte nur das eine nicht. Vor dem einen hätte er selber angst, weil er nicht wüsste wie du reagieren würdest wenn du es wüsstest. Deshalb hat er es dir nicht gesagt. Juli sagte mir, das er sich verliebt hätte, aber nicht in eine Frau, sondern in einen Mann. Zuerst dachte ich ‚ ok, was soll’s, jedem dass seine’ doch als er dann sagte das er in mich verliebt war sah ich rot. Ich musste plötzlich daran denken was passiert wenn das raus kommt, dann wäre ich doch genauso untendurch hier, wie Juli es eh schon war. Ich dachte, dann könne ich meine Karriere sofort an den Nagel hängen und schrie in an, was ihm einfalle, das er pervers wäre und solche Sachen. Ich war richtig wütend auf ihn nur weil er ehrlich zu mir war. Er versuchte es mir zu erklären doch ich schrie ihn nur an, dass ich ihn nie wiedersehen wolle und ich dachte, wenn nie jemand was davon erfährt würde er vielleicht wieder normal. Dann ist Juli weggegangen, er sagte er gehe hierher, ich solle doch nachkommen wenn ich mich beruhigt hätte. Das nächste was ich von ihm hörte, war der Anruf am nächsten morgen das er tot sei.
Ich hab meinen besten freund auf dem gewissen weil ich so engstirnig war wie alle hier und ich glaub genau deswegen hat er sich umgebracht. Weil er dachte oder eher wusste alle anderen würden wohl genauso reagieren wie ich.“
Mehr konnte Micha nicht sagen, er saß nur noch und weinte. Er weinte wie ein kleines Kind. Anna nahm in ihn ihre arme und fing ebenfalls an zu weinen.

Die nächste Zeit viel Anna sehr schwer, Juli fehlte ihr immer noch sehr und kaum eine stunde verging, in der sie nicht an ihn dachte. Jeden tag nach der Schule ging Anna zu Familie Michels um mit Johanna die Hausaufgaben zu machen und weil sie sich dort einfach wohl fühlte. Nach Julis Tod haben sich seine Eltern geändert. Sie nehmen es sich nicht mehr zu Herzen was andere sagen, man kann sagen, sie haben von Ihrem Sohn gelernt.
Besonders glücklich ist Anna immer gewesen als sie in dieser zeit in Julis Zimmer sein konnte, seine Eltern haben es nicht übers Herz gebracht sein Zimmer leer zu räumen und es roch nach ihm. Anna setzte sich oft auf sein Bett und betrachtete die Wände, dann fühlte sie sich ihm immer besonders Nahe.
Zu Hause auf ihrem Nachttisch stand noch lange zeit ein Foto von Juli, das ihn so zeigte, wie sie ihn nie vergessen wollte. Lachend und mit strahlenden blaue Augen. Daneben stand ein Stofftier. Ein alter Teddybär, den Juli von geburt an besessen hatte. Er hat ihr mal erzählt wie viel ihm der Teddy
Bedeutete und nun gehörte er ihr. Julis Mutter gab ihn ihr am Tag nach Julis Beerdigung mit den Worten, dass Juli es so gewollte hätte.

Der Teddy hat noch viel erlebt, zum Beispiel reiste er zwei Jahre später mit Anna nach New York, das Foto vom Teddy und der Skyline legte Anna später auf Julis Grab, auf dessen Grabstein steht „Frei wie ein Vogel“.



Free As A Bird (Lennon/McCartney/Harrison/Starkey)


Free As A Bird,
It's the next best thing to be
Free as a bird.
Home
Home and dry
Like a homing bird I fly,
As a bird on wing

Whatever happened to the life that we once knew
Can we really live without each other?
Where did we lose the touch
That seemed to mean so much?
It always made me feel so....

Free -- as a bird,
It's the next best thing to be
Free as a bird.
Home
Home and dry
Like a homing bird I fly--as bird on wing

Whatever happened to the life that we once knew
It Always made me feel soooo
Free

Free as a bird
It's the next best thing to be
Free as a bird
Free as a bird
Free as a bird

Aktuelle Beiträge

Ihr werdet es nicht merken!
Warum merkst du nicht das dein Kind missbraucht wurde? Die...
Naddi_1984 - 7. Okt, 19:05
verletzte gefühle
Verletzte Gefühle Wisst ihr, wie das ist morgens...
Naddi_1984 - 7. Okt, 19:03
Mutter
An deine Mutter Öffne die Augen, sieh genau hin, denn...
Naddi_1984 - 7. Okt, 19:03
falsche Gefühle
Bist du schuld daran, dass du träumst? Nein, bin ich...
Naddi_1984 - 7. Okt, 19:02
I still miss you..
Als wir uns das erste Mal sahen habe ich dich nichtmal...
Naddi_1984 - 11. Feb, 21:18

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Links

Suche

 

Status

Online seit 7174 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 7. Okt, 19:05

Credits


Gaestebuch
Gedanken...
Kindesmissbrauch
Papa
Poesie
Sammy
Songs
Stories
Suizid & Alkohol
Sven
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren